Was ist Verantwortungseigentum?
Verantwortungseigentum basiert auf der Idee, dass ein Unternehmen sich selbst gehören sollte und nicht einzelnen Personen. Im Gegensatz zum Shareholder-Value-Ansatz, bei dem Unternehmensanteile auf wenige Personen verteilt sind, die ihren Profit maximieren wollen, trifft ein Unternehmen im Verantwortungseigentum alle wichtigen Entscheidungen selbstbestimmt.
Gewinne sind im Verantwortungseigentum kein Selbstzweck. Sie bleiben im Unternehmen und können nicht von einzelnen Eigentümern entnommen werden. Dadurch kann das Unternehmen werteorientiert wirtschaften und ist keinem externen Druck von Shareholdern ausgesetzt. Das ist die Grundidee der Purpose Economy: Sinn vor Gewinn.
Welche Rolle haben Unternehmer im Verantwortungseigentum?
Die Eigentümer eines Unternehmens in Verantwortungseigentum besitzen zwar Stimm- und Teilhaberechte. Sie partizipieren aber weder am Gewinn, noch gehört ihnen als Gesellschafter ein Teil des Unternehmensvermögens. Die Unternehmer fungieren damit praktisch als Treuhänder der Purpose-Idee: Sie stellen ihre Entscheidungskompetenz in Dienst der sozialen und ökologischen Ideen, auf denen das Verantwortungseigentum aufbaut.
Verantwortungseigentum baut auf langfristige Eigenständigkeit und ist damit vom Prinzip her dem Familienunternehmen ähnlich. Der Unterschied: Die Unternehmensverantwortung obliegt hier nicht einer Eigentümerfamilie, sondern einer Fähigkeiten- und Werteverwandtschaft. Vermögenseigentum wird so zum Verantwortungseigentum.
Unternehmensführung im Verantwortungseigentum
Selbstbestimmung
Stimmrechte werden nicht automatisch vererbt und nicht als Spekulationsgut handelbar. Die Kontrolle behalten Personen, die dem Unternehmen langfristig verbunden sind.
Sinn (Purpose)
Gewinne sind kein Selbstzweck, sie werden durch einen Asset Lock – eine Vermögenssperre – stets in die Entwicklung des Unternehmens reinvestiert oder gemeinnützig gespendet.
Die Wahl der Rechtsform für Verantwortungseigentum
In Deutschland befinden sich rund 200 Unternehmen in Verantwortungseigentum. Allerdings gibt es bislang im deutschen Recht keine Gesellschaftsform, mit der sich Verantwortungseigentum unmittelbar abbilden lässt. Deshalb kommen Konstruktionen wie Doppelstiftungsmodelle und aufwendige GmbH- oder Veto-Anteil-Strukturen zum Einsatz. Solche Konstruktionen sind kompliziert und kostenintensiv, was gerade kleine und mittelständische Purpose-Unternehmen an ihre Grenzen bringt.
Die Stiftung Verantwortungseigentum fordert daher seit ihrer Gründung 2019 eine entsprechende Rechtsform – und hat Verantwortungseigentum zum Thema der Politik gemacht.
Was ist eine Gesellschaft mit gebundenem Vermögen (GmgV)?
Die Ampelregierung hat im Koalitionsvertrag festgelegt, dass die „Gesellschaft mit gebundenem Vermögen“ (GmgV) als neue Rechtsform für Unternehmen etabliert werden soll.
Am 12. Juli 2024 wurde bekannt, dass ein erster Gesetzesentwurf den Ministerien zur Prüfung vorliegt.
Initiativ hatten 22 Verbände in einem Positionspapier dargelegt, warum die Gesellschaft mit gebundenem Vermögen den Wirtschaftsstandort Deutschland besonders im Bereich des Mittelstandes stärken würde.
Unternehmensnachfolgen & Verantwortungseigentum
Vor allem für das Problem der Unternehmensnachfolgen sieht man eine Chance: Nachfolgen würden sich auch außerhalb der Gründerfamilie einfacher und im Sinne des Unternehmens besser regeln lassen. Denn bei der Entscheidung für einen Nachfolgekandidaten müsste nicht mehr dessen Finanzkraft als Entscheidungskriterium den Ausschlag geben. Nachfolger in einer Gesellschaft mit gebundenem Vermögen könnten vielmehr aufgrund ihrer qualitativen Eignung und ihrer Verbundenheit mit dem Unternehmen ausgesucht werden.
Hier wird deutlich, dass sich mit dem Konzept des Verantwortungseigentums etablierte Unternehmensmodelle weiterentwickeln lassen.
Wie können Unternehmen im Verantwortungseigentum wachsen?
Die Vermögensbindung ist ein Grundprinzip von Verantwortungseigentum. Klassisches Wachstum durch Investoren ist zudem mit dem Prinzip der Selbstbestimmung nicht vereinbar. Es bleibt die Frage, wie sich Unternehmen in Verantwortungseigentum Kapital beschaffen können, um zu wachsen.
Grundsätzlich können GmgVs auch Anlegern eine risikogerechte Verzinsung für ihre Geldeinlagen zu bieten. Sie sind zwar eingeschränkter als Unternehmen mit klassischen Gesellschaftsformen, dennoch stehen ihnen verschiedene Wege für eine externe Finanzierung offen.
Finanzierungsmöglichkeiten für Unternehmen in Verantwortungseigentum
- Eigenkapital in Form von stimmrechtlosen Anteilen mit Recht auf Dividenden
- Eigenkapital als Rückkaufoption mit gedeckeltem Rückkaufpreis
Die beiden letzten Finanzierungsarten lassen sich auch mit Crowdinvesting umsetzen, bei dem viele Anleger digital und mit kleinen Beträgen in ein Unternehmen investieren. Das eingeworbene Volumen wird so Eigenkapital zugerechnet, fließt also direkt ins Unternehmen.
Der wesentliche Unterschied im Vergleich zu klassischen Kapitalerhöhungen ist, dass die Entscheidung über Dividendenausschüttungen bei den Verantwortungseigentümern bleibt. Im Gegensatz zu Aktien, bei denen die Eigentümer der Dividendenrechte über die Ausschüttung entscheiden, behalten hier die Verantwortungseigentümer die Kontrolle.
In Verantwortungseigentum investieren
Verantwortungseigentum bietet eine Möglichkeit für Werteorientierte, in Unternehmen zu investieren, die soziale oder umweltbezogene Ziele verfolgen. Da der Schwerpunkt nicht auf Gewinnmaximierung liegt und das Vermögen im Unternehmen bleibt, sind die Renditen, Investitionsbedingungen und Zeithorizonte anders als bei klassischen Impact-Investments.
Es gibt einige Beispiele für Investitionskampagnen in Unternehmen der Purpose Economy.
Haferkater: Ein Unternehmen nimmt sich vom Markt
Haferkater bietet mit seinen mittlerweile 27 Stores eine gesunde Frühstücksalternative an Bahnhöfen und anderen Verkehrsknotenpunkten. Die Hinwendung zum Verantwortungseigentum hat vor allem das Ziel, bereits vorhandene Investoren aus dem Unternehmen herauszukaufen und somit sicherzustellen, dass alle zukünftigen Gewinne dem Unternehmen zugutekommen.
Dafür wurden die Haferkater Purpose GmbH gegründet und ein Prozent der Unternehmensanteile an die Purpose-Stiftung übertragen. So trägt das Verantwortungseigentum bereits im Namen. Zur Finanzierung des Vorhabens wurde eine Crowdinvesting-Kampagne gestartet. So plant Haferkater mit Hilfe seiner Anleger das Unternehmen vom Markt zu nehmen und in die Purpose Economy zu überführen.
WEtell: Grüner Mobilfunk im Verantwortungseigentum
Auch der nachhaltige Mobilfunkanbieter WEtell hat den Wandel bereits vollzogen: Seit 2022 sind die Freiburger Unternehmen in Verantwortungseigentum. Dafür hat WEtell der Purpose Stiftung – ebenso wie Haferkater – ein Prozent der Unternehmensanteile und ein Ein-Prozent-Vetorecht übertragen. Zusätzlich wurde Kapital mit zwei Crowdinvesting-Kampagnen über die GLS Crowd eingesammelt.
WEtell zeigt, dass werteorientierter Mobilfunk als Geschäftsmodell funktioniert. Statt Profitmaximierung gibt es maximalen Datenschutz und klimaneutrales Wirtschaften. Seit 2021 bilanziert WEtell nach den Richtlinien der Gemeinwohl-Ökonomie. Im Verantwortungseigentum können die Gründer ihre Werte konsequent weiterverfolgen – und die Purpose Economy mit aufbauen.
Fazit: Verantwortungseigentum als Schlüssel zur Purpose Economy
Verantwortungseigentum stellt eine innovative Unternehmensform dar, die Werte und Gemeinwohl in den Mittelpunkt stellt. Obwohl es derzeit noch keine spezifische Rechtsform dafür gibt, gibt es politische Fortschritte. Die Einführung der Gesellschaft mit gebundenem Vermögen (GmgV) wäre einen Wendepunkt, an dem Purpose-getriebenes Unternehmertum von der Ausnahme zur Regel wird
Verantwortungseigentum könnte so vom Nischenkonzept zu einem breiteren gesellschaftlichen Narrativ werden. Die neue Rechtsform würde es Unternehmen erleichtern, ihre werteorientierten Ziele rechtssicher zu verankern und langfristig zu verfolgen. Für Investoren eröffnet sich damit die Möglichkeit, in Unternehmen zu investieren, die nicht nur profitorientiert, sondern auch sozial und ökologisch handeln.
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